Forschungsprojekt: Wissen durch Vertrauen? Zur Epistemologie der Zeugnisse wissenschaftlicher Experten

Aus Perspektive der Philosophie des Vertrauens besteht eine der wichtigsten Herausforderungen darin zu erklären, wann und unter welchen Umständen es angemessen ist einer anderen Person zu vertrauen bzw. zu misstrauen. Während in der praktischen Philosophie eine breite Debatte darüber geführt wird, worin Vertrauen genau besteht, ist die Frage, was diese Einstellung epistemisch angemessen macht unzureichend geklärt.
Das Projekt strebt daher eine detaillierte Analyse der Frage nach der Angemessenheit von Vertrauen in die Aussagen von wissenschaftlichen Expertinnen und Experten an. Dazu wird insbesondere auf die erkenntnistheoretische Debatte um Wissen aus zweiter Hand (testimony) Bezug genommen. Diese hat traditionell auf die Frage der Rechtfertigung der Akzeptanz von Behauptungen anderer Personen in den Mittelpunkt gestellt und dazu verschiedene Interpretationen des Vertrauensbegriffes vorgelegt. Epistemisches Vertrauen kann u.a. verstanden werden…
- als Ausdruck für einen inferentiellen Prozess, bei dem ein Erkenntnissubjekt Überzeugungen aufgrund unsicherer Prämissen bildet,
- als Ausdruck für die Akzeptanz einer Aussage bei Abwesenheit oder Unkenntnis widersprechender Evidenzen,
- als Ausdruck für die Akzeptanz einer Aussage aufgrund einer dem Sprecher zugeschriebenen epistemischen Autorität, oder
- als Ausdruck für die Akzeptanz einer Aussage aufgrund der Erwartung, dass der Sprecher nicht beabsichtigt die Abhängigkeit seines Gegenüber auszunutzen.
Das Projekt untersucht, inwiefern diese Arten der Bezugnahmen auf den Vertrauensbegriff für den Kontext der Kommunikation zwischen wissenschaftlichen Experten und Laien von Bedeutung sind und welche Konsequenzen dies für den korrespondierenden Begriff der Vertrauenswürdigkeit hat. Außerdem soll die Hypothese geprüft werden, ob Schwierigkeiten der angesprochenen Konzeptionen nicht umgangen werden können, wenn der Erwerb von Wissen aus zweiter Hand nicht als einseitiger Akt der Informationsübermittelung, sondern als Kommunikationsprozess aufgefasst wird, bei dem die Rechtfertigung der vom Laien erworbenen Überzeugung in einem vernünftigen Prozess gemeinsam mit dem Experten konstruiert wird.
Diese Fragen gewinnen besondere Bedeutung in aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen um die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Expertise. Einerseits sind wir als wissenschaftliche Laien normalerweise vom Wissen anderer abhängig und daher auf das Urteil epistemisch besser gestellter Personen angewiesen. Ohne Vertrauen in das Urteil dieser Personen wäre der Umfang unseres Wissens verschwindend gering. Umgekehrt ist aber auch die Wissenschaft selbst vom Vertrauen der Öffentlichkeit abhängig. Um ihrer gesellschaftlichen Funktion als Produzentin intersubjektiv verbindlicher Aussagen über die Welt gerecht werden zu können bedarf sie einer Hörerschaft, die bereit ist ihr hinsichtlich der Methoden und Werte zu vertrauen, die ihre Erkenntnisbemühungen anleiten. Daher ist zu erwarten, dass die Ergebnisse des Projektes zu einem besseren Verständnis der der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit beitragen können.
Weitere Informationen finden Sie auch im Datenbankeintrag der DFG.
Förderlinie: DFG-Sachbeihilfe
Laufzeit: Januar 2018 – Juni 2021
Projektmitarbeiter*innen
Ronja Schiller (Studentische Hilfskraft)
Aktuelles
Projektpublikationen
Social Exclusion, Epistemic Injustice, and Intellectual Self-Trust
In: Social Epistemology (accepted)
ISSN: 0269-1728
DOI:10.1080/02691728.2021.2004620
URL: https://www.tandfonline.com/toc/tsep20/current
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How to assess the epistemic wrongness of sponsorship bias? The case of manufactured certainty
In: Frontiers in Research Metrics and Analytics (2021)
ISSN: 2504-0537
DOI: 10.3389/frma.2021.599909
URL: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/frma.2021.599909/abstract
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Vertrauen, epistemische Rechtfertigung und das Zeugnis wissenschaftlicher Experten
In: Michael Jungert, Andreas Frewer und Erasmus Mayr (Hrsg.): Wissenschaftsreflexion. Interdisziplinäre Perspektiven zwischen Theorie und Praxis, Paderborn: Mentis, 2020, S. 69-103
ISBN: 978-3-95743-178-3
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Knowledge from Scientific Expert Testimony without Epistemic Trust
In: Synthese (2018), S. 1-31
ISSN: 0039-7857
DOI: 10.1007/s11229-018-01908-w
URL: https://link.springer.com/article/10.1007/s11229-018-01908-w
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